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irgendwo da draußen - ganz weit innendrin

Foyerausstellung von Damaris Lipke

September - Oktober 2005





Ausstellungsdauer: 02.09. - 28.10.2005


Kosmisch und dialektisch klingt der Titel und weckt die Assoziation, dass es um einen schwebenden Raum gehen könnte, der das gewichtige Verhältnis zwischen Makro- und Mikrokosmos bestimmt.

Skulpturale Arbeit, Rauminstallation, Fotoarbeit wie auch performativer Prozess, der nicht anders als interaktiv bei Damaris Lipke zu denken ist: medienübergreifend also finden diese Elemente in der Kunst von Damaris Lipke zusammen. Sie schaffen eine eigene Welt in dem Versuch, Unbegreifliches zu umfassen – eine Welt, die zu Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Menschen, seinen Bedingungen und seiner Einordnung in große Zusammenhänge herausfordert. Sie entsteht als schwebender Raum sich entfaltender Kräfte, für die insbesondere die Energieschenkerin Madame Ergo durch die Welt reist und auch hier Station macht, zu denen aber auch Reflexionen menschlichen Zorns ebenso gehören wie die einer kindlichen Freude am Spiel. Das Ganze gewürzt mit einer guten Portion Humor und Witz, die sich in den einfachen Kleinigkeiten versteckt – denn ohne das Schmunzeln, welches das erkennende Aha-Moment zum Vorschein bringt, werden große Weltzusammenhänge bei Damaris Lipke nicht thematisiert.

 

Schwebend und leicht spricht die Installation im Fensterbereich den Betrachter an. Luzide, weiße Stoffbahnen schaffen eine weiche, nachgiebige, fast transparente Atmosphäre und ziehen zugleich eine Grenze. – Ein in sich abgeschirmter Raum nach Außen wie nach Innen hin. Nur ein Spalt eröffnet den Blick von außen ins Innere, der Neugierde und Voyerismus hervorruft. Nur einen Spalt breit geöffnet fordern auch die Stoffbahnen im Innern den Besucher auf, seiner Neugierde zu folgen und einzutreten in einen Raum, der Geistigkeit oder gar Heiligkeit ausstrahlt, umfassendere Dimensionen des Unbegreiflichen anspricht.

Heiligkeit, Kosmisch-Geistiges, Schwebendes – einerseits zieht all das an, weckt die Neugierde – oder gar Sehnsucht? Andererseits ruft es eine gewisse Scheu, Ungläubigkeit, vielleicht auch Skepsis hervor?

Dieser Raum ist der Raum der Madame Ergo. Einer Frau, die die Welt bereist und Energie verschenkt, einfach so. Madame Ergo widmet sich genau dem, was so unbegreiflich und umfassend ist: Kräften, Energien.

Madame Ergo spricht, stellt Fragen – ganz innerlicher, intimer Art, an  jedermann. So sind die wesentlichen Fragen öffentlich und somit von außen sichtbar. – Sie spielt mit Worten, gibt sie dem zu lesen, der sie lesen will. Worte, Fragen, die uns so gewichtig sind oder scheinen, und sich aber zugleich auflösen angesichts des Gesamtzusammenhangs. So auch die Fragen der Madame Ergo nach dem Ist-Zustand, die sich weiß auf der Fensterscheibe vor dem Weiß der Stoffbahnen im Inneren nahezu auflösen.

Hier nimmt Sprache die Funktion eines Mediums an, das keinen Wahrheitsanspruch, keine Allgemeingültigkeit formuliert. Hier nimmt Sprache die Funktion eines Mediums an, das Ahnungen und Assoziationen zu wecken vermag, sozusagen nur das Bewusstsein der Gäste von Madame Ergo antippt, um darauf hinzuweisen, dass es noch mehr gibt. – Ein „Noch-mehr“ als Hektik, Schnelligkeit, reale Fakten im Mikrokosmos des eigenen alltäglichen Einerleis: Nämlich – abstrakt– die Einbettung eines jeden Wesens in energetische Welt- und Kosmoszusammenhänge, die durchaus mit konkreter Materie zu tun hat, denn nicht umsonst benötigt Madame Ergo Stoffmuster zum Anfassen und Be-greifen des Ist-Zustands ihrer Gäste.

 

Auch in den anderen Arbeiten Lipkes spielt der Bezug zur Materie, zum konkret Weltlichen eine bedeutsame Rolle. Da steht zum Beispiel die auf die Leinwand geschriebene kindlich-konkrete Frage: „Mama, wo fahren all die Autos hin?“ (2005) und der große Zusammenhang wird in der Einfachheit des Symbols unseres kleinen, herabbaumelnden, zerbrechlich wirkenden Planeten deutlich, be-greifbar. Auch hier ist das nuancierte, feine Zusammenspiel von Worten, Materie und Weltzusammenhang zu finden – wie es auch bei der Skulpturarbeit „bekloppte Kerle“ (2004) auf amüsante Weise zu bemerken ist, denn den Titel gilt es aufzunehmen! Nimmt man die Worte des Titels wörtlich, so weiß man ob des schlichten Wortspiels schon Bescheid darüber, welche menschlichen Emotionen ihren Ausdruck allein in der Bearbeitungstechnik des irdenen Materials Ton erfahren haben. „Bekloppt“, behauen, geschlagen worden ist das Material – und so farbig die Köpfe der „bekloppten Kerle“ lasiert sind, so gehören auch diese lebensechten Emotionen von Zorn und Enttäuschung in den Kreislauf von menschlichen Bedingungen und deren Kontexten. Ebenso wie die Fotografien der Serie „Mehltanz“ (2002), welche die kindliche Freude, den Spaß und die Lust am Fühlen und Spielen mit Mehl, einer so sanften und weichen Konsistenz, abbilden – wo manch einer die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde ob des Durcheinanders eines Mehltanzes. So ist hier doch ein Einssein, ein Energiefluss spürbar, eine lustvolle Leichtigkeit, deren Sprache nonverbal funktioniert und die bei den zumeist erwachsenen Gästen der Madame Ergo erst wieder Raum erfährt und auch hier im wörtlichen Sinn: an–ge–sprochen werden muss.

Ein Schmunzeln locken auch die „Bürobilder“ (2005) hervor, deren Kommentar ganz im Gegensatz zum Einssein lautet: „Wie man wird, der man nicht ist.

Ist das ganze Schauspiel ernst gemeint? Oder ist es eine Überspitzung esoterischer Tendenzen, die innerhalb unserer Gesellschaft Anklang findet – aus Sehnsucht nach Ruhe und Gelassenheit? Ein Spiel, das „(d)ie Erleuchtung“ (2005) den Profis vorbehält? Oder sie bringen will? Oder ein Spiel, das einfach dazu einlädt, mitzuspielen?

In jedem Fall ein Spiel, das mit Ernst und Witz gekonnt zu jonglieren versteht.

 

Hille Schwarze

Kuratorin






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